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Noch nie wurden in der Schweiz so viele E-Bikes verkauft wie im letzten Jahr. Trotz Rückenwind aus der Steckdose haben E-Bikes ein grünes und nachhaltiges Image. Ist das gerechtfertigt?

Fahrräder aller Art mit elektrischem Motor sind seit etwa einem Jahrzehnt die Renner in der Mobilitätsbranche. Sie gelten als segensreiche Alternative im ökologisch besonders belasteten, urbanen Verkehr, profilieren sich als Retter der weltweiten Fahrradbranche, bringen neuen Schwung in den Tourismus und bringen ganz nebenbei Millionen Menschen endlich mal – oder zurück – an die frische Luft.

Sage und schreibe 187000 E-Bikes wurden in der Schweiz im Corona-Jahr 2021 verkauft, was einem Marktanteil innerhalb der Fahrradbranche von 38 Prozent entspricht (Quelle: velosuisse). In Deutschland wurden 2020 unglaubliche 1,95 Millionen E-Bikes verkauft, der Marktanteil ist bei unserem grossen Nachbarn allerdings mit rund 30 Prozent etwas geringer.

Wie immer bei positiven Trends, läuft die begleitende PR-Maschinerie auf Hochtouren. Als Verkehrsmittel der Zukunft, als mögliche, neue olympische Sportart und als Fitness-Treiber par excellence gepriesen, bescheren Fahrräder mit Elektromotorantrieb der begleitenden Industrie und dem Einzelhandel so nicht erwartete, fantastische Gewinne. Elektro-Velos geben den Verkehrsplanern ein neues Instrument an die Hand und den zuvor nicht ganz so Bewegungshungrigen ein Gerät, mit dem sie dank begleitender Bekleidungsindustrie zumindest den Anschein von Sportlichkeit erwecken können.

Fahrradindustrie allgemein mit Mängeln

Doch ist dem tatsächlich so? Sind Velos mit Elektrounterstützung so nachhaltig, wie behauptet wird? Um es gleich vorwegzunehmen: Die Nachhaltigkeit von E-Bikes hängt vor allem von der Lebensdauer bzw. der zeitlichen Länge des Gebrauchs ab und davon, welche andere Aktivitäten oder welches Verkehrsmittel sie ersetzen – oder eben nicht.

Die weltweite Fahrradproduktion – und dabei ist es egal, ob Muskelvelo oder E-Bike – glänzt aktuell nicht mit vorbildlich nachhaltigen Standards und hat über die letzten Jahre die Mechanismen moderner Wegwerfgesellschaften verinnerlicht. Defekte Teile können kaum geflickt werden, sondern werden weggeschmissen und ersetzt, der Wartungsaufwand über die ganze Fahrradpalette hinweg hat sich deutlich vergrössert. Der (reparierbare) Stahlrahmen wurde weitestgehend verdrängt von Aluminium- und Karbonvelos asiatischer Herkunft, die unter minimsten und kostengünstigen Personal- und Umweltschutzstandards produziert und mit riesigen, Schweröl verbrennenden Containerschiffen in den Westen transportiert werden. Aluminium landet nach Gebrauch im Altmetall, Karbon gar im Sondermüll.

Wer ein Fahrrad fährt, muss daher wissen, dass bereits zur Produktion desselben gehörige CO2-Emissionen notwendig waren und entsprechend die Langlebigkeit bzw. Lebensdauer des Fahrrads bei der Bewertung der Nachhaltigkeit und des ökologischen Fussabdrucks eine wesentliche Rolle spielt. Wer alle zwei Jahre das Velo wechselt, ist bedeutend weniger nachhaltig unterwegs als jemand, der nicht immer das neuste Modell besitzen will.

Wie sieben Stunden Fernsehen

Wer zusätzlich differenziert und elektrisch angetriebene Fahrräder auf ihre Nachhaltigkeit untersuchen will, muss sich zudem darüber im Klaren sein, mit welchem anderen Verkehrsmittel sich das E-Bike messen soll und woraus E-Bikes bestehen. Beim E-Bike müssen im Vergleich zu Muskelvelos noch drei zusätzliche Komponenten in die Überlegungen miteinbezogen werden:

  1. der Motor
  2. der für den Motorbetrieb nötige Strom
  3. der für die Energiespeicherung zuständige Akku am Velo

Klar, der Strom kommt aus der Steckdose. Doch wie der Strom gewonnen wird, müsste eine bedeutende Rolle in der Bewertung von E-Bikes spielen. Dass dem nicht so ist, liegt daran, dass der Stromverbraucher zwar ökologisch korrekten Strom bei bestimmten Stromanbietern zumindest virtuell einkaufen kann, dieser aber nicht zwingend aus der Steckdose in den Akku seines Bikes fliesst. So liegt der Anteil erneuerbarer Energien in der Stromversorgung der Schweiz bei 27,2 Prozent (2020). Nachbar Deutschland bringt es auf 45,3 Prozent. Zum Vergleich: Schwedens Anteile liegen bereits bei knapp 60 Prozent. Da der Verbraucher also nur selten steuern kann oder will, ob er tatsächlich grünen Strom in sein Velo lädt, wird dieser Aspekt in der Nachhaltigkeitsbewertung von E-Bikes nur selten einbezogen.

Schauen wir uns den durchschnittlichen Verbrauch eines E-Bikes mit 300-W-Motor etwas genauer an. Ein solches benötigt rund 0,7 Kilowattstunden (kWh) Strom pro 100 Kilometer bzw. 7 Wattstunden (Wh) pro Kilometer. Zum Vergleich: Eine 150 km lange E-Bike-Runde benötigt mit regelmässiger Akku-Unterstützung rund eine Kilowattstunde und entspricht damit ungefähr einem kompletten Waschmaschinenwaschgang oder sieben Stunden Fernsehen. Der Fernsehzuschauer kann also nicht per se behaupten, er sei ökologischer unterwegs als ein Toure-E-Biker.

Beim Bergauffahren sieht es etwas anders aus, da werden mehr als 20 Wh/km verbraucht, also rund dreimal mehr als im flachen Gelände. Und natürlich sind E-Bikes mit einer Unterstützung bis 45 km/h die grösseren Stromfresser als solche bis 25 km/h-Unterstützung, bei denen ein gut trainierter Fahrer im Flachen auch oft ohne Unterstützung unterwegs sein kann.

Schmutziger Lithium-Abbau

In sich haben es einzelne Komponenten eines E-Bikes. Der heute in fast allen Modellen gängige Lithium-Ionen-Akku gilt zurecht als sein ökologischer Schwachpunkt. Dort, wo die Energie für möglichst lange und schnelle Ausfahrten gespeichert wird, verbaut man Materialien, die zu den seltensten auf unserem Planeten zählen: Kobalt, Nickel, Mangan, Lithium. Vor allem der Abbau von Lithium verursacht grosse Umweltschäden und wird teils unter unwürdigen Arbeitsbedingungen und katastrophalen Umweltvorgaben bewerkstelligt. Andere Akku-Inhaltsstoffe wie Kupfer, Aluminium und Graphit sind zwar (noch) nicht rar, verbrauchen aber bei der Gewinnung viele Energieressourcen.

Ebenfalls problematisch: Noch wird ein Grossteil aller weltweit in E-Bikes verbauten Akkus in China hergestellt. Dabei werden hohe CO2-Emissionen freigesetzt: Diverse Umweltverbände und Umweltämter berechnen zwischen 55 und 75 kg CO2, die pro Kilowattstunde Akkuleistung bei der Produktion anfallen. Derzeit gängige, durchschnittlich 500 Wattstunden fassende Akkus liegen demnach im Durchschnitt bei 22-27,5 kg CO2-Ausstoss pro Akku-Produktion. Die Reise der Produkte aus Fernost nach Europa ist hierbei noch nicht einberechnet.

E-Bike nachhaltiger als ÖV

Mittlerweile gibt es einige Studien, die sich explizit mit dem Vergleich unterschiedlicher Fortbewegungsmittel und Fahrzeugtypen beschäftigen. Die Auswertungen dieser meist wissenschaftlich durchgeführten Befragungen und Beobachtungen beziehen sich in erster Linie auf den Zeitraum vor 2020, also vor der Pandemie. Diese verursachte jedoch bekanntlich einen überproportional starken Anstieg der Freizeitaktivitäten und E-Bike-Verkäufe in den letzten zwei Jahren. Auf die qualitative Vergleichbarkeit der Ergebnisse und Auswertungen der Studien dürfte der quantitative Anstieg der Verkaufszahlen jedoch nur geringen Einfluss haben.

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Die wohl umfangreichste und aussagekräftigste durchgeführte Studie zum Themenbereich «Nachhaltigkeit und Energiebilanz elektrischer Fahrräder» hat vor einigen Jahren das «ifeu» (Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg unter Mitwirkung von Hans-Jörg-Althaus und Daniel Sutter vom Forschungsunternehmen INFRAS, Zürich) auf den Markt gebracht. Ifeu setzt sich in seiner Studie intensiv mit dem Ausstoss von CO2 auseinander. Besonders interessant: Bei den Berechnungen fliessen nicht nur die Bereitstellung der Energie, sondern auch die Herstellung, Wartung und letztendlich Entsorgung mit in die Ergebnisse.

Das vielleicht interessanteste Ergebnis: Wer das E-Bike konsequent zum Pendeln zur und von der Arbeitsstätte einsetzt, ist damit nachhaltiger unterwegs als mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Zitat aus der ifeu-Studie: «Mit durchschnittlich deutlich unter 20 Gramm pro Personenkilometer fallen die Klimawirkungen von E-Bikes gegenüber einem konventionellen Motorroller sowie gegenüber der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel etwa fünfmal niedriger aus.»

Beim Thema «E-Bike-Akku» bestätigt das ifeu, übereinstimmend mit anderen Studien vom Deutschen Umweltbundesamt, dass schon nach rund 100-150 E-Bike-Kilometern – je nach Leistungsgrösse des Akkus – im Vergleich zu einem PKW der Mittelklasse (hier: VW Golf) die Treibhausgasemissionen, die beim Bau des E-Bike-Akkus anfallen, ausgeglichen sind. Jeder Autokilometer, der durch eine Fahrt mit dem E-Bike gespart werden kann, ist also definitiv ein deutlich ökologischerer Kilometer als zuvor.

Nutzung entscheidet über Nachhaltigkeit

Doch wer nutzt denn nun das E-Bike wie und warum? Auch hier arbeiteten die «Macher» der ifeu-Studie vorbildlich. Ersetzte Wege, Herstellungs-, Betriebs- und sogar die Entsorgungskosten, Wetterbedingungen, Fahrtradius, Alter, Geschlecht, Beruf etc. der Fahrer und Fahrerinnen wurden aufgenommen. Zudem wurden sogenannte qualitative Interviews (offene Antwort-Möglichkeiten, keine vorgegebenen Ja-Nein-Antworten) in die ifeu-Bewertung miteinbezogen.

Laut ifeu sind 20 Prozent aller E-Biker von einem Muskelvelo auf ein motorisiertes Fahrrad umgestiegen. Nach Ansicht vieler Experten kann diese Zahl jedoch nach der Pandemie nicht mehr gestützt werden. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass sich weitaus mehr ehemalige Radfahrer oder Fussgänger inkl. Jogger während der Corona-Restriktionen für ein E-Bike entschieden haben oder zunehmend entscheiden werden. Und dieses eben nicht vorwiegend zum Pendeln von und zur Arbeitsstätte oder als Autoersatz nutzen, sondern schlicht und einfach, um ihren Bewegungsradius erhöhen zu können und als Freizeitaktivität

Im Umkehrschluss fahren aber laut Studie 70 bis 80 Prozent aller E-Biker ihr elektrisch motorisiertes Fahrrad für Ersatzfahrten mit dem Auto, eine sehr hohe Quote. Auszug aus der ifeu-Studie: «Bei den E-Bike-Fahrten ergibt sich eine durchschnittliche Weglänge von 11,4 km und eine Fahrdauer von 49 min, wobei Wege bis 10 km und einer Dauer bis 30 min am häufigsten sind. 41% der E-Bike-Wege und 45% der E-Bike-Kilometer wurden vor dem Kauf mit dem Pkw zurückgelegt. Bei den Berufstätigen war die Verlagerung vom Pkw aufs E-Bike mehr als doppelt so hoch wie bei nicht Erwerbstätigen. Bei Pendlern ersetzte das E-Bike 62% der Kilometer, die zuvor mit dem Pkw zurückgelegt wurden.»

Verändertes Freizeitverhalten

Aber auch in Bezug auf die Umsteiger von (nahezu) emissionsfreien Sport- und Fortbewegungsarten hat ifeu geforscht: «Bis zu 38% der E-Bike-Wege und 32% der Kilometer wären vor dem E-Bike-Kauf mit einem konventionellen Fahrrad unternommen worden. Besonders hoch ist der Anteil an Fahrradsubstitution bei den nicht Erwerbstätigen. Im Vergleich liegt er doppelt so hoch wie bei Berufstätigen. Die grosse Gruppe der Pensionäre, die sich jüngst ein E-Bike anschafften, spielt bei diesen Zahlen sicher eine wesentliche Rolle.

Andere Verkehrsmittel werden von den Teilnehmenden nur marginal substituiert. Nur bei dem Wegezweck «Arbeit» werden mit 11% auch nennenswert ÖV-Wege durch das E-Bike ersetzt. Mit rund 6% ist der Anteil an Wegen, die durch das E-Bike neu generiert werden – fahren um des Fahrens willen oder verbesserter Zugang zu Mobilität – eher gering. Doch auch hier gilt: Während der Pandemie dürften sich die Werte zumindest im sozio-demografischen Bereich in Richtung «mehr Einsatz des E-Bikes im Freizeitbereich» geändert haben.»

Wunschziel: Mehr ersetzte Autokilometer

Bleibt noch der Blick in die Zukunft. ifeu gibt sich – ähnlich wie andere Studien, auch die der grossen Fahrrad-Dachverbände – sehr optimistisch. So behaupten die Heidelberger, dass E-Bikes das Potential hätten, bis zum Jahr 2030 rund 1,1 bis 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr allein in Deutschland einzusparen. Vorausgesetzt, der Trend «E-Bike- als Ersatz für Autofahrten» hält an.

In diesen Zahlen nicht berücksichtigt ist allerdings der Aspekt, dass E-Bikes die Abgase nicht dort abgeben, wo sie gefahren werden, sondern am Ort der Energiegewinnung und der Produktion. Doch was scheren uns die Emissionsbelastungen bei den anderen, wenn wir vermeintlich klimafreundlich auf dem E-Bike unterwegs sind?

Was die Langlebigkeit eines Velos betrifft – ein entscheidender Faktor in Sachen Nachhaltigkeit –, lohnt sich ein Blick in Entwicklungsländer. Dort bieten im Alltag in erster Linie Eingang-Velos ein Garant für höchstmögliche Langlebigkeit bei gleichzeitig geringen Wartungskosten, denn jeder Schaltvorgang erhöht den Verschleiss. Elektronik am Fahrrad und E-Bikes spielen dort noch überhaupt keine Rolle, sondern sind vor allem in westlichen Gesellschaften mit hohem Lebensstandard verbreitet. Und entsprechend nicht per se darauf ausgerichtet, die Nachhaltigkeit zu verbessern, sondern vor allem darauf, die Mobilität sowie den Bewegungsradius zu erhöhen. Der ebenfalls aktuelle Trend zu Gravel-Bikes mit reduzierter Ausstattung (weniger Dämpfung, weniger Gänge, Revival von Stahlrahmen) setzt hier einen wohltuenden Kontrapunkt.

Fazit: Wer vom täglichen Spaziergang aufs E-Bike umsteigt, ist damit weniger nachhaltig unterwegs als zuvor, und umgekehrt reduzieren E-Bike-Nutzer ihren persönlichen Fussabdruck, wenn sie dank dem E-Bike ihre Autokilometer oder ÖV-Fahrten reduzieren.

Was bei der ganzen Energiediskussion rund um E-Bikes oft vergessen geht, ist die individuelle Energiekalkulation. Dank immer stärkeren Motoren der Strom-Velos wird die eigene Muskelkraft kaum mehr benötigt, der Kalorienverbrauch ist entsprechend gering, wenn man die volle Unterstützung nutzt. Viele E-Biker sind daher selbst bei mässig kalten Temperaturen so bekleidet, als kämen sie direkt von einer Polar-Expedition.

Nun gut, könnte man einwenden, vielleicht ist für Sport-Anfänger das (Aha)Erlebnis aufgrund (noch) mangelnder Ausdauer und Muskelkraft mit Rückenwind aus der Steckdose grösser, und vielleicht wird so die Einstiegshürde schneller überwunden und ist die unterstützte Aktivität der Beginn neuer sportlicher Aktivität ohne Strom. Die Realität zeigt allerdings genau das Gegenteil: Der Weg geht in «modernen» Gesellschaften nicht von bequem zu unbequem, sondern praktisch immer umgekehrt hin zu immer bequemeren Möglichkeiten. Und das wiederum sollte einem schon ein bisschen zu denken geben.

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