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Begeisterte Ausdauersportler wissen: Sport im Hochsommer kann einen ganz schön weichkochen, wenn nicht nur die Muskeln, sondern auch die Sonnenstrahlen vom Himmel brennen. Anders als Spitzensportler können Hobbysportler aber jederzeit die Anstrengung zeitlich selbst definieren, herunterfahren, sich abkühlen oder ganz abbrechen, wenns sein muss.

Nicht so die Wettkämpferinnen und Wettkämpfer bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha. Sie kämpfen um Titel und Medaillen, und dies unter extremen klimatischen Bedingungen, was vor allem für Ausdauersportler eine besondere Herausforderung darstellt. Erwartet werden Maximaltemperaturen von über 35 Grad und bis zu 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, weshalb die Marathon- und Geher-Wettbewerbe erst spätabends gestartet werden.

Der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) nutzt die herausfordernden Bedingungen zu einer länderübergreifenden Studie, welche die Auswirkungen der Hitze auf die Körper von Spitzensportlern untersuchen will. Teilnehmen an der Studie können Athletinnen und Athleten, die über 10000 m, Marathon, 20 oder 50 km Gehen starten. Auch die Schweiz ist von der IAAF angefragt worden, doch Julien Wanders und Tadesse Abraham, die als einzige Schweizer Sportler in Frage kamen, sind nicht dabei. Die IAAF rechnet insgesamt mit rund 150 Athletinnen und Athleten, die mitmachen.

Laufend Daten sammeln

Die teilnehmenden Sportler müssen einen Fragebogen beantworten, werden vor und nach den Wettkämpfen gewogen und – Kernpunkt der Studie – sie schlucken einen Mini-Thermometer in Pillenform, der während des Wettkampfs die Körperkerntemperatur misst. Entlang der Wettkampfstrecken sind zudem Thermo-Kameras installiert, welche die Hauttemperatur der vorbeilaufenden Athleten erfassen.

Die gesammelten Daten der Studie sollen zeigen, ob und wenn ja wann die Athleten Gefahr laufen, einen Hitzschlag zu erleiden, und mit welchen Massnahmen man dies langfristig verhindern kann.

Interessant sind die Resultate nicht nur rückblickend auf Doha, sondern vor allem im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, bei denen ähnlich extreme Witterungsbedingungen wie in Doha erwartet werden und noch zahlreiche andere Wettkämpfer aus anderen Sportarten betroffen sind. Patrik Noack, als Chief Medical Officer von Swiss Olympic Leiter der medizinischen Abteilung an den Spielen in Tokio, begrüsst die Studie: «Ich bin sehr gespannt auf die Daten und fände es gut, wenn möglichst viele Athleten daran teilnehmen, zumal die Intervention minimal ist und keinerlei Einfluss auf die sportliche Leistung ausübt. Besonders interessant ist, dass die IAAF den Teilnehmern nicht nur die individuellen Daten zugänglich macht, sondern in anonymisierter Form auch die der anderen Teilnehmer.»

Körperkern wird schnell warm

Normalerweise beträgt die Körperkerntemperatur eines Menschen rund 36,5–37 Grad Celsius. Sie ist ein wichtiger Indikator, welche thermophysiologische Belastung auf einen Athleten wirkt. Bei einer sportlichen Anstrengung steigt sie rasch an in Bereiche von rund 38,5–39 Grad. Bei speziellen klimatischen Bedingungen werden im Spitzensport regelmässig auch Werte jenseits der 40-Grad-Marke gemessen. In diesem Bereich machen sich die ersten negativen Begleiterscheinungen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit bemerkbar. Ab 41 Grad droht ein Hitzekollaps und ab 42,5 Grad kann es gar lebensbedrohlich werden.

Nicht nur die IAAF, sondern auch Swiss Olympic unternimmt im Rahmen der «Beat the Heat»-Studie Anstrengungen, um die Auswirkungen der Hitze in den Griff zu bekommen. So haben einige Schweizer Triathleten beim Weltcuprennen in Hamburg, am Test-Wettkampf in Tokio sowie an der WM in Lausanne jeweils eine Thermometer-Pille zur Temperaturmessung geschluckt.

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Severin Trösch, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fachgruppe Sportphysiologie Ausdauer an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen (EHSM), betreut für Swiss Olympic das Projekt. «Die Daten sind erst nach der Saison ganz ausgewertet», so Trösch, «aber einzelne Befunde sind schon jetzt bemerkenswert. In Hamburg bewegten sich die Körperkerntemperaturen im Schnitt um 39 Grad, wogegen in Tokio Werte von deutlich über 40 Grad gemessen wurden.»

Akklimatisation und Pre-Cooling

Bei den Resultaten von Tokio zusätzlich interessant war für Severin Trösch die Erkenntnis, «dass der massive Anstieg der Körperkerntemperatur bereits im Schwimmen erfolgte und nicht erst gegen den Schluss der Laufstrecke hin, wie das eigentlich zu erwarten war.» Die Wassertemperatur in Tokio betrug warme 30 Grad.

Die kleinen, knapp zwei Gramm schweren Thermometer-Pillen sind keine Sender, welche die Daten in Echtzeit an Betreuer übermitteln, sondern können erst nach den Wettkämpfen ausgewertet werden. Dann aber sieht man genau, zu welchem Zeitpunkt im Rennen sich die Körperkerntemperatur verändert hat und man kann Rückschlüsse ziehen, welche Ursachen dafür verantwortlich waren. Und ob man diese mit entsprechenden Massnahmen beeinflussen kann.

Ziel der «Beat the Heat»-Anstrengungen ist es laut Olympia-Arzt Patrik Noack, «den Sportlerinnen und Sportlern aufzuzeigen, wie sie ihre optimale Leistungsfähigkeit durch Aufnahme der richtigen Flüssigkeitsmenge und dank Hilfsmitteln wie Eisbädern und Kühlwesten auch bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit aufrechterhalten können». Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung auf das Klima in Tokio komme zudem der Hitzekammer zu, die im Velodrom in Grenchen eingerichtet ist. «In dieser Umgebung können wir die Bedingungen exakt simulieren, die auf die Athletinnen und Athleten zukommen.»

Für Severin Trösch stehen im Kampf gegen die Hitze zwei Massnahmen im Vordergrund: «Die passende Akklimatisation stellt die grösste Intervention dar und unsere Aufgabe ist es, diese individuell auf den Athleten und seine Sportart abzustimmen.» Der beste Weg, sich an die Hitze zu gewöhnen, sei in der Hitze zu trainieren, laut Trösch «mindestens einmal täglich, damit die entsprechenden physiologischen Prozesse in Schwung kommen.» Als nötige Akklimatisationszeit rechnet er mit «mindestens einer Woche bis besser zwei Wochen.»

An zweiter Stelle stehen verschiedene Pre-Cooling-Massnahmen wie Kühlwesten, Kaltgetränke oder auch ein reduziertes Warm-up. Severin Trösch: «Ziel des Pre-Coolings ist es, dass die Athleten zum Zeitpunkt des Starts eine möglichst tiefe Körperkerntemperatur aufweisen und es dadurch entsprechend länger geht, bis diese in kritische Bereiche vorstösst.»

Ob mit den Massnahmen Bilder von komplett erschöpften und torkelnden Athleten wirklich verhindert werden können, ist fraglich, denn bei grossen Meisterschaften gehen die Sportler bedingungslos ans Limit – Hitze hin oder her. Solange Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele an Orten wie Doha oder Tokio mit entsprechenden klimatischen Bedingungen durchgeführt werden, rennt oder fährt das Kollaps-Risiko latent mit.

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