Bildquelle: © Swiss-Image

Die Laufveranstalter haben drei schwierige (Corona)Jahre hinter sich. Obwohl sich der Laufsport grosser Beliebtheit erfreut, lagen bei den 10 grössten Schweizer Events 2022 die Teilnehmerzahlen so tief wie letztmals vor 12 Jahren. Geht es im neuen Jahr ohne Einschränkungen endlich wieder aufwärts?

Erinnern Sie sich noch? Ende Februar 2020 wurde nicht nur das gesellschaftliche Leben als Ganzes, sondern auch die Laufschweiz mit voller Wucht von Corona getroffen und es ging Schlag auf Schlag. Zuerst verboten die Gesundheitsbehörden des Kantons Graubünden Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen, worauf als Erstes der Engadin Skimarathon kapitulieren und abgesagt werden musste. Nur einen Tag später folgte der Bundesrat mit derselben Weisung schweizweit bis Mitte März, worauf der Survival Run in Thun, der Bremgarter Reusslauf im Kanton Aargau und auch der Laufsporttag Winterthur ins Wasser fielen. Innerhalb von zwei Tagen also vier Absagen von Ausdauersportevents, die zusammen jedes Jahr gegen 25 000 Menschen bewegen.

Es folgten allein im Frühling 2020 über 100 Lauf-Events, die Corona zum Opfer fielen. Danach erholte sich die Situation kurzfristig wieder und zwischen August bis Ende Jahr konnten zahlreiche Events durchgeführt werden, wenn auch meist unter erschwerten Begleitumständen (Schutzkonzepte) und mit eingeschränkten Teilnehmerzahlen.

2021 ging es schwierig weiter. Viele verschoben ihre Frühlingsevents in den Herbst und harrten der Dinge. Andere boten spezielle Austragungsformen oder virtuelle Läufe an, die zwar für einige als Überbrückung dienten, aber nie an die Teilnehmerzahlen von realen Events heranreichten.

Trotz Öffnung zahlreiche Verlierer

2022 dann endlich das Ende des Tunnels – und dennoch für viele Events auch das Jahr der Ernüchterung. Die Auflagen wurden nach und nach fallengelassen und ab März konnten die meisten Anlässe ohne grosse Restriktionen wie früher durchgeführt werden, wovon in erster Linie die Herbstveranstaltungen profitierten.

Wobei – nicht alle. Der Frauenlauf, obwohl weitsichtig vom Juni in den Herbst verschoben, wie auch der Greifenseelauf (September) verzeichneten einen unerklärlichen Teilnehmerschwund. (Im Artikel Laufszene Teilnehmerentwicklung 2023 können Sie die interessante Entwicklung der Teilnehmerzahlen zwischen 198o bis heute nachverfolgen.)

2022 wurden aber nicht nur einzelne Events, sondern auch die grossen Schweizer Läufe als Ganzes arg zurückgebunden, genaugenommen um zwölf Jahre, wie der Blick in die Statistik zeigt: Bei den grössten zehn Schweizer Laufevents 2022 betrug die Teilnehmersumme aller Events 148 717 Läuferinnen und Läufer, also nur knapp 4% mehr als 2010 (143 375). Im letzten Jahr vor der Pandemie (2019) betrug das Total noch 183 178 Sportlerinnen und Sportler, also 35 000 mehr als drei Jahre später.

Schwierige Ursachenforschung

Weil sich der Laufsport während der Pandemie zunehmender Beliebtheit erfreute und zeitweise eine der wenigen Aktivitäten war, die man noch uneingeschränkt ausüben konnte, war eher das Gegenteil erwartet worden. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 war bei allen klar, wer der Schuldige ist: Corona. 2022 zeigte aber, dass die Gründe der Nichtteilnahmen nicht nur dadurch zu erklären sind, sondern drei Jahre Pandemie das Sportverhalten der Schweizerinnen und Schweizer insgesamt und wohl langfristig beeinflusste.

Leider nicht nur positiv, wie eine Studie ergab, die im Auftrag des Bundesamts für Sport durchgeführt wurde. Sie zeigte, dass die Pandemie entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu einem Anstieg, sondern zu einem Rückgang der Sport- und Bewegungsaktivitäten geführt hat. Die ohnehin schon Sportlichen trainierten scheinbar fleissig weiter, während sich viele durch die zahlreichen Einschränkungen in ihrem Bewegungsverhalten einschränken liessen. Home-Office und die Nähe zum Kühlschrank wirkten sich offenbar nicht bei allen positiv aus.

Auch die Veranstalter rätseln, welche Gründe für den Teilnehmereinbruch des vergangenen Jahres verantwortlich sind. «Wir hängen alle ein bisschen in den Seilen», sagt Reto Schorno, Geschäftsführer beim Swiss City Marathon in Luzern. «Klare Gründe für den Rückgang können wir nicht erkennen, zumal man während der Pandemie das Gefühl hatte, dass alle in der Gegend herumgerannt sind.»

Andy Grüter wollte es genauer wissen. Grüter ist Geschäftsführer des Vereins Swiss Runners, der Vereinigung der Schweizer Volksläufe, welcher mittlerweile 53 Läufe angehören. Swiss Runners hat 2022 sowohl im Frühling wie auch im Herbst eine Umfrage bei früheren Teilnehmern von Anlässen durchgeführt und gefragt, wieso sie nicht mehr teilgenommen haben. Im Frühling kamen 5500 Antworten retour, im Herbst 6300. «Die Erkenntnisse überraschen», so Andy Grüter: «An erster Stelle als Grund für die Nichtteilnahme wurde von knapp 30% mangelnde Fitness und Form aufgeführt.» Im Frühling sind zudem laut Andi Grüter vermehrt Termin-Engpässe hervorgestrichen worden, «da musste alles nachgeholt werden, was aufgrund des Lockdowns blockiert war.»

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Nicht nur Corona?

Die doch überraschende Antwort «mangelnde Fitness» lässt Interpretationsspielraum. Waren viele krank (Corona?) und konnten nicht genügend trainieren? Ist als Motivation zum sportlichen Training die langfristige Planung mit einem Laufevent als Ziel entscheidend? Oder haben einige in den Lockdowns realisiert, dass sie auf Laufevents verzichten können und lieber auf dem E-Bike herumkurven, als gezielt zu trainieren?

Was «fehlende Fitness» als Absagegrund bestätigt: Die anstrengenden Distanzen ab 10 km aufwärts verzeichneten stärkere Teilnehmerrückgänge als Kurzdistanzen, die auch mit bescheidenem Trainingsaufwand gemeistert werden können. Der heisse Sommer war der sportlichen Form zudem sicher nicht zuträglich.

Dennoch ist die Benennung klarer Ursachen unmöglich und spekulativ. Was sicher ist: 2023 wird aus laufsportlicher Sicht für die Events zu einem enorm wichtigen – und teilweise vermutlich auch existenziellen – Jahr. Es stellt sich die entscheidende Frage: Werden die Teilnehmerzahlen wieder auf das frühere Niveau ansteigen oder müssen die Veranstalter langfristig mit tieferen Zahlen rechnen, wodurch schlussendlich vereinzelt die Startgelder angehoben werden müssten?

Herbstevents büssten weniger ein

Hoffnung gibt die Tatsache, dass 2022 die Herbstevents weit weniger zu leiden hatten als die Frühlingsevents, bei denen eine Durchführung lange Zeit ungewiss war. Andy Grüter dazu: «Im Frühling wurden noch durchschnittlich Rückgänge von 30-35% verzeichnet, im Herbst dann nur noch solche von 20-25%. Und vor allem die Zahlen von Jahresschluss-Events wie Escalade, Silvesterlauf oder auch Neujahrsmarathon fielen äusserst ermutigend aus und deuten darauf hin, dass die grundsätzliche Lust an einer Event-Teilnahme ungebrochen ist.

Sonder-Initiativen als Eigengoal?

Nicht auszuschliessen ist, dass sich die initiativen und engagierten Alternativen während der Pandemie schlussendlich kurzfristig als Boomerang negativ auf die Teilnehmerzahlen auswirkten. Klare und frühzeitige Absagen scheinen langfristig weniger Schaden verursacht zu haben. Allenfalls haben aufwändige Alternativen zu neuen Bedürfnissen geführt, die weiterhin befriedigt werden wollen?

Beim Greifenseelauf 2022 beispielsweise liefen – ohne Einschränkungen und wie immer im Herbst ausgetragen – nur noch 3500 Läuferinnen und Läufer den Halbmarathon, im Jubiläumsjahr 2019 (40. Austragung) vor Corona waren es mit 6850 fast doppelt so viele.

Gleichzeitig ist der Greifenseelauf einer jener Events, die während der Pandemie keine Mühen und Aufwände scheuten, ihre Events durchzuführen. 2020 wurde er als aufwändiger Wochenevent mit Einzelstarts durchgeführt. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich begeistert ob dieser Möglichkeit, doch wer weiss: Vielleicht war das neu- und einzigartige Erlebnis auch mit ein Grund, dass viele künftig gar nicht mehr zur gewohnten Austragungsform eines Laufes mit Massenstart und Gruppenerlebnis zurückwollen.

Alles wie früher?

Für die meisten Veranstalter ist die klassische Austragungsform allerdings immer noch die Vorgabe, an der sie sich orientieren. Die grossen Events wie die Escalade, der GP Bern oder die grossen Stadtläufe sind mit dem Laufboom gewachsen, sie haben ihre Konzepte über die Jahre an die Bedürfnisse der Läufer angepasst und sehen keinen Grund zu grundsätzlichen Anpassungen. Das Lauferlebnis im Kollektiv vor zahlreichen Zuschauern ist dabei mitentscheidend, daher möchten die Verantwortlichen verständlicherweise am liebsten wieder so arbeiten wie vor der Pandemie.

Dennoch herauszuheben ist die Escalade in Genf. Sie hat trotz Pandemie keinen Einbruch erlebt, im Gegenteil: Das Lauffest in Genf hat seinen Status als Primus der Szene im 2022 eindrücklich zementiert. Eine wichtige Erkenntnis dabei: Die Escalade wird von den meisten nicht als sportliche Herausforderung wahrgenommen, sondern als Volksfest mit Festivalcharakter, bei dem nebenbei auch noch gelaufen wird. Stark gefördert wird zudem der Nachwuchs: Mit dem kantonalen Förderprojekt «Santescalade» werden für Kinder und Senioren mit dem Ziel einer Escalade-Teilnahme schon Monate vor dem Event zahlreiche Trainings angeboten.

Mehr Spass – weniger Leistung?

Bewegungsförderung statt Leistungssport, Party statt Ehrgeiz. Vielleicht kann die Escalade mit ihrem Volksfest-Ansatz auch Deutschschweizer Events inspirieren. Denn östlich des Röstigrabens setzen immer noch viele stark auf die sportlichen Herausforderungen, was sich schon in Namensgebungen wie Swiss City Marathon oder Zürich Marathon äussert, obwohl bei beiden Events die Marathondistanz immer weniger Teilnehmer anzieht und sowohl in Luzern wie Zürich das Erlebnis ebenfalls zelebriert wird. Es stellt sich daher die Frage: Dient das Label «Marathon» tatsächlich immer noch als Anreiz für eine Event-Teilnahme oder wird es als zunehmend unerreichbare Herausforderung nicht vielmehr zum Motivationskiller?

Ob bereits 2023 zum Befreiungsjahr werden kann, wird sich zeigen, wenn die rund 600 registrierten Laufanlässe in der Schweiz über die Bühne gegangen sind. Falls die früheren Teilnehmer zurückkommen und diejenigen die Faszination von Volksläufen entdecken, die während der Pandemie das Laufen neu entdeckt haben, könnte es durchaus wieder zu Rekordzahlen kommen. Vielleicht braucht es einfach seine Zeit, bis alles wieder sprichwörtlich wie am Schnürchen

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