Spitzensport und Alter
Leistungszenit im Spitzensport
Der altersbedingte Leistungsabfall im Sport beginnt schon früh. Mit 35 Jahren ist der Zenit erreicht. Wie gehen Schweizer Ausdauersportler mit dem Thema «älter werden» um?











Fragt man bei aktiven und kürzlich zurückgetretenen Spitzensportlern nach, wie sich das Alter bei ihnen bemerkbar macht, muss man Esther Süss (45) zustimmen. Die Marathon-Weltmeisterin von 2010, welche letztes Jahr immer noch namhafte Wettkämpfe wie das Black Forest Ultra Bike oder das Grand Raid mit Streckenrekord gewinnen konnte, findet: «Das Alter ist doch nur eine Zahl.» Süss hält auf Langdistanzen noch heute mit zwanzig Jahre jüngeren Athletinnen mit. Dass derartige Ausdauerleistungen auf höchstem Niveau «durchaus möglich» sind, bestätigt Saskia Gehrig. Die Sportwissenschaftlerin hat sich während ihrer Dissertation in Humanphysiologie mit Alterungsprozessen im Skelettmuskel beschäftigt. «Wissenschaftlich ist es heute erwiesen, dass die Muskelfaserverteilung und damit der Anteil an Muskelfasern vom Typ 1, welche vor allem bei Ausdauerleistungen mit begrenztem Kraftaufwand aktiv sind, von trainierten Sportlern im Alter erhalten bleibt.» Der Peak der Leistungsfähigkeit im Ausdauersport könne «bis ins Alter von rund 35 Jahren aufrechterhalten werden», erklärt Gehrig. «Danach folgt zwischen 50 und 60 Jahren ein moderater Leistungsabfall, der daraufhin stärker ausfällt. Die Abnahme der maximalen Sauerstoffaufnahme im Alter scheint dabei der Schlüsselmechanismus zu sein, welcher mit der Einbusse der Leistungsfähigkeit korreliert. Die Faktoren, die zu dieser Abnahme führen, sind allerdings noch nicht vollständig geklärt. Es scheint, dass eine Reduktion des maximalen Schlagvolumens, aber auch eine Reduktion der maximalen Herzfrequenz sowie der arterio-venösen Sauerstoffdifferenz eine Rolle spielen. Zusätzlich kann auch ein Zusammenhang mit abnehmenden Trainingsintensitäten und Trainingsumfängen mit fortschreitendem Alter festgestellt werden.»
Leistungsabbau unterschiedlich
Interessanterweise nehmen austrainierte Spitzensportler diesen Leistungsabbau recht unterschiedlich wahr. Ruedi Wild (37) etwa, der als Triathlet von der olympischen auf die Langdistanz gewechselt ist, merkt derzeit noch kein Nachlassen seiner Leistungsfähigkeit. «Ich spüre vor allem, dass die Erholungsphase länger dauert und ich hoch intensive Belastungen nicht mehr so gut toleriere.» Ähnliches stellte auch Marathonläufer Viktor Röthlin fest, der seine aktive Karriere mit 40 Jahren beendete: «Ich brauchte länger, um mich von harten Trainings zu erholen. Und alles tat etwas länger weh als noch ein paar Jahre davor.» Die 23-fache OL-Weltmeisterin Simone Niggli-Luder (41), welche im Alter von 35 Jahren vom Spitzensport zurückgetreten war, heute aber nach wie vor Wettkämpfe bestreitet und selbst bei der Elite noch aufs Podest läuft, beobachtet: «Meine Leistungsfähigkeit hat in den letzten Jahren langsam abgenommen. Vor allem die Regenerationsfähigkeit und die Schnelligkeit, während die Ausdauerfähigkeit noch immer recht gut ist; trotz reduzierten Trainingsumfangs.» Inwiefern dieser Abbau dem Alter
oder der Tatsache geschuldet ist, dass die OL-Läuferin «praktisch gar keine spezifischen Schnelligkeitstrainings wie Intervalle oder Hügelläufe» macht, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Wissenschaftlerin Saskia Gehrig meint dazu: «Pro Dekade nimmt die Leistungsfähigkeit bei Ausdauerathleten um rund 7 bis 14 % ab. Um dem entgegenzuwirken, muss die Trainingsintensität und das Trainingsvolumen möglichst beibehalten werden.»
Familie, Job, Verletzung
Das gelingt nicht allen Athleten gleich gut. Irgendwann nehmen die Familie und neue berufliche Verpflichtungen einen höheren Stellenwert ein als der Sport. Die siebenfache «Miss Gigathlon» Nina Brenn (39) sagt von sich: «Nicht die Leistungsfähigkeit hat nachgelassen, sondern mein ‹Biss›, in jeder freien Minuten noch ein Training reinzuschieben.» Zeitgleich verspürte die Mutter eines Sohnes auch den Wunsch, «beruflich Karriere zu machen», weshalb die studierte Forstingenieurin die Projektleitung von grossen Bauprojekten übernahm. Ironman-Athlet Christoph Mauch (48) hat während seiner letzten aktiven Jahre die Marke Skinfit in der Schweiz aufgebaut. «Tagsüber war ich zu 100 % Spitzensportler, abends habe ich stundenlang Mails beantwortet, das war rückblickend schon sehr ungesund. Als dann noch die Familie dazukam, nahmen muskuläre Probleme zu.» In solchen Situationen gilt es, die richtige Balance zu finden: «Ich musste erst lernen, sportlich in ‹vernünftigen› Massen unterwegs zu sein», erinnert sich Mauch. Mountainbike-Legende Thomas Frischknecht doppelt nach: «Am Ende meiner Karriere wusste ich im Kopf, was ich alles kann. Aber meine Beine lieferten das nicht mehr.» Plötzlich gehe es darum, «dem Körper acht zu geben und die Gesundheit in den Vordergrund zu stellen», so Frischi. Sein Rezept: «Täglich Sport treiben und aktiv bleiben!» Diesen Rat würde auch Andrea Huser (45) gerne beherzigen. Aber die Gesamtsiegerin der Ultra-Trail World Tour 2017 und frühere Mountainbike-Europameisterin plagen seit über einem Jahr diverse Verletzungen. «Technische Fehler und Fehlhaltungen machten sich bei mir nach vielen Ultra-Trails bemerkbar. Ich lief bis zum Ermüdungsbruch im Darm- und aktuell im Kreuzbein.» Die Motivation zum Training und die Lust an Trailläufen ist bei ihr so gross wie eh und je. «Seit den Verletzungen ist es für mich immer wichtiger, gesund zu bleiben. Ich achte deshalb auf meine Ernährung und praktiziere Mobilitätsübungen.» Ein Rat, den Triathlet Ruedi Wild unterschreibt: «Ernährung und Krafttraining spielen für mich eine immer wichtigere Rolle.» Auch Viktor Röthlin hat zum Ende seiner langen Marathonkarriere vermehrt seinen Physiotherapeuten ins Boot geholt, um «nach dem eigentlichen Training an den Defiziten zu arbeiten».
Ernährung und Krafttraining
Aus wissenschaftlicher Sicht untermauert Saskia Gehrig: «Ernährung und Krafttraining dienen dem Erhalt der Leistungsfähigkeit und der Verletzungsprophylaxe.» Gerade älteren Sportlern sei eine hohe und regelmässige Proteinaufnahme empfohlen. «Vier bis fünf Mal täglich rund 30 bis 40 Gramm hochwertiges Protein», rät die Expertin. «Verbunden mit regelmässigem Krafttraining kann die Muskelmasse im Idealfall bis ins Alter von 60 Jahren aufrechterhalten werden. Danach – so zwischen 60 und 70 Jahren – folgt gemäss dem momentanen Stand der Wissenschaft ein verstärkter Leistungsabfall.»