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Es gibt für alle Menschen gewichtige Gründe, sich vermehrt vegetarisch zu ernähren, auf Fleisch zu verzichten oder den Konsum deutlich einzuschränken. Und auch für Sportler gibt es gute Argumente, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Die letzten Jahre waren für Vegetarier und Veganer so «erfolgreich» und ermutigend wie selten zuvor. Die Medien setzten sie von der Abschuss- auf die Aufsteigerliste, die Wissenschaft fand und proklamierte immer mehr gute Beweise für eine fleischlose Ernährung, die Nahrungsmittelindustrie nahm die vegetarischen Anliegen endlich ernst und sogar an der Börse konnte man gute Profite erzielen – mit Burgern, Würsten und Steaks, in denen garantiert kein Fleisch zu finden ist.

Vorbei die Zeiten also, in denen von lebensgefährlichen Mangelerscheinungen die Rede war, sobald jemand nur das Wort «vegetarisch» in den Mund nahm. Keine Vorwürfe mehr an Eltern, die ihre vegetarisch ernährten Kinder dem sicheren Verderben aussetzen; und nicht zu vergessen die «irre geleiteten» fleischlos-Sportler, die wegen Protein- und Vitamin B12-Mangel bald bei einer einsamen Trainingseinheit mitten im Wald zusammenbrechen würden.

Es waren und sind gute Jahre für Vegetarier und Veganer, weil Gammelfleisch- und Inhaltsstoff-Skandale den Vegetariern und ihren Befürwortern in die Hände spielen, weil sich die ethische Lage in der Industriefleisch-Produktion drastisch verschlechtert und vor allem auch, weil mittlerweile akzeptiert ist, dass übermässiger Fleischkonsum einer der wesentlichen Gründe für die andauernde
Klimaveränderung ist.

Längst keine Exoten mehr

Vegetarier haben mittlerweile auch ihren exotischen Status verloren, weil sie immer zahlreicher und somit ein stetig wachsender Teil der (westlichen) Gesellschaft sind. Zahlenmässig ist ihr absoluter Anteil zwar noch bescheiden, aber doch markant höher als noch vor wenigen Jahren: 300 000 Schweizer (5 % der Gesamtbevölkerung) behaupten, dass sie sich konsequent vegetarisch und/oder vegan ernähren. Im Jahr 2020 waren es noch 3,7 %. In Deutschland sind die Zahlen noch deutlicher: Derzeit gibt es bei unserem Nachbarn rund 8 Millionen Vegetarier und über 1,2 Millionen Veganer. Das entspricht etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung.

Immer bessere Argumente

Doch was bewegt all diese Menschen, unter denen Ausdauersportler überproportional vertreten sind, auf einen vermeintlich «normalen» Speiseplan zu verzichten und mehr oder weniger konsequent fleischlos durch den Alltag zu steuern? Die Antwort ist simpel: Weil ihnen immer bessere Argumente geliefert werden.

Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Vor 20–30 Jahren wurde die eher kleine Gruppe der Vegetarier gerne als «Gesund­heitsapostel» belächelt und ebenso häufig als verschroben oder zumindest «asketisch» abgetan. Man wurde als «Körnlipicker» verhöhnt und als Mensch, der oder die unbedingt länger als die anderen leben wollte.

Mit Bio zurück zum Fleisch

Dann waren da noch die konsequenten Tierfreunde, die es aus ethischen Gründen nicht hinnehmen wollen, dass wegen ihrer tierischen Essfreuden Milliarden Fleischlieferanten, sprich Tiere unter mehrheitlich unsäglichen Haltungsbedingungen ihr kurzes Dasein fristen, um schliesslich in Industrieschlachthöfen zu «Fleischprodukten mit ISO-Zertifikat» verarbeitet zu werden.

Der allgemeine Trend «Zurück zur Natur», auch «Bio» genannt, zeigte beiden Gruppen einen Weg zurück zum Fleisch: Das Steak eines glücklichen Bullen, der auf der Alp gesunde Kräuter wiederkäut und hinter seinen Gespielinnen hertoben kann, ist in der Tat ein Stück Natur, das man mit (fast) reinem Gewissen zu sich nehmen kann. Auch wenn der Jungbulle geschlachtet wird – so geschieht es doch mitunter beruhigenden Mozartklängen beim örtlichen Metzger vermeintlich «tiergerecht».

Auch «glückliche Schweine», «freilaufende Hühner» oder «artgerecht gezüchtete Forellen» verstärkten den Bio-Trend, aber gleichzeitig durch ihre wachsende Bedeutung in der gesellschaftlichen Diskussion auch den Aufschwung des Vegetarismus. Die Akzente waren gesetzt: Durch die immer weiter ansteigende Anzahl von Bio-Produkten im Supermarkt sowie die wachsende Auswahl an vegetarischen Fleisch-Alternativen und deren (langsame) Annäherung an normale Preiswelten wurden den modernen Vegetariern die Wege geebnet.

Der Markt der fleischfreien Produkte ist von 2020 bis 2021 in Europa um mehr als ein Drittel gewachsen. Selbst in der wurst- und fleischverarbeitenden Grossindustrie hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass mit Fleischersatz Geld verdient werden kann, auch wenn die aktuelle Inflation die Euphorie abgebremst hat.

Fleischersatzprodukte sind gefragt

Wieviel Potenzial der Trend hat, zeigte sich 2019, als deutsche Supermarktketten pflanzliche Fleischersatzprodukte des US-Herstellers Beyond Meat in ihr Sortiment aufnahmen. Man wollte wissen, wie die fleischessenden Kunden auf ein entsprechendes Angebot reagieren. Das kalifornische Unternehmen verkauft z.B. vegane Burgerplätzchen aus rein pflanzlichen Inhaltsstoffen. Diese kommen echtem Fleisch in Aussehen, Geschmack und Kau-Konsistenz erstaunlich nahe.

Das Ergebnis der «Feldstudie» war verblüffend: Die Supermarktregale mit den Fleischlos-Plätzchen waren im Nu leergeräumt. Laut Umfragen sind rund 75 Prozent der Bevölkerung an solchen vegetarischen beziehungsweise veganen Alternativen interessiert oder haben schon einmal ein solches Produkt getestet (obwohl sie aufgrund der vielen Zusatzstoffe nicht automatisch gesund sind).

Die Regale mit fleischlosen Produkten, die sowohl Fleischgeschmack wie auch -konsistenz kopieren wollen, füllen sich immer mehr.

Lukrative fleischlose Geschäftsfelder

Analysten der renommierten Unternehmensberatung Kearney sehen Fleischersatzprodukte als den Markt der Zukunft – auch unter ökonomischen Aspekten und als Investitionsprodukt an der Börse. Das gesamte Volumen für Fleischprodukte ist derzeit etwa eine Billion US-Dollar schwer und die Analysten schätzen, dass der Anteil der veganen Fleischersatz­produkte von derzeit etwa 20 Milliarden Dollar
innerhalb von fünf Jahren auf bis zu 100 Milliarden Dollar ansteigen könnte.

Doch gleichzeitig ist «Beyond Meat» als Hoffnungsträger der veganen Welt wie viele andere an der Börse notierten Unternehmen grossen Schwankungen unterworfen: Der Aktienkurs stieg in wenigen Wochen von anfänglich 21 Euro auf über 200 Euro, mittlerweile ist die Aktie des weltweit aktiven Unternehmens aber wieder auf 15 Euro gesunken. Für viele ist das ein regelrechter Niedergang – andere schätzen die Entwicklung als art- und marktgerecht, aber stabil ein.

So spannend und überzeugend ökonomische Aspekte auch sein mögen, die wichtigsten Argumente hin zur vegetarischen Ernährungsweise und weg vom Fleischkonsum liefert uns – die Natur.

Wahnsinns-Dimensionen

Global betrachtet hat die schiere Menge des Fleischkonsums mittlerweile Ausmasse angenommen, die kaum noch nachvollziehbar sind. 55 Milliarden Säugetiere werden jährlich nach einem meist kümmerlichen Leben in riesigen Industrie-Zuchtanlagen geschlachtet. Allein der Mist, den diese Tiere ausscheiden, verursacht mehr Treibhausgase als alle Transportmittel auf der Welt zusammen.

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Natürlich müssen die Tiere vor ihrem Tod gemästet werden – denn die Menschheit ernährt sich zu 80 % aus Tieren, die (eigentlich) Vegetarier sind. Zur möglichst schnellen Futtermittelproduktion werden enorme Mengen Pestizide und Düngemittel eingesetzt, Gifte, die irgendwann wieder ins Grundwasser sickern…

Apropos Wasser: In einem Kilogramm Rindfleisch stecken im globalen Durchschnitt 15 415 Liter Wasser, in einem Kilo Schweinefleisch 5988 Liter und in einem Kilo Geflügelfleisch 4325 Liter Wasser. Für ein Kilogramm Getreide sind es rund 190 Liter. Auch die CO2-Werte beeindrucken: Für ein Kilogramm Rindfleisch gelangen 12,3 Kilogramm CO2 in die Atmosphäre, ein Kilo Äpfel hingegen verursacht nur 250 Gramm des Treibhausgases.

Weitere Zahlen? Weltweit werden jedes Jahr rund 80 Milliarden Landtiere geschlachtet (Grossteil Geflügel), gesamthaft werden zwischen 0,9–2,7 Billionen Fische und Meerestiere getötet. 96 % des weltweit angebauten Sojas dient zur Fütterung der Schlachttiere, nur 3 % der Soja-Gesamtproduktion wird vom Menschen direkt konsumiert. Dies ist ein Hauptgrund, weshalb im Amazonas-Dschungel auch heute noch jeden Tag riesige Flächen abgeholzt werden, um gigantische Soja-Monokulturen zu errichten.

Was man angesichts solcher Dimensionen als Einzelner ausrichten kann? Dasselbe wie beim Verschwenden der Ressourcen unseres Planeten: Durch Einschränkung, Reduktion und bewussten Konsum ist jede noch so geringe Einsparung ein wichtiger Schritt nach vorne. Oder konkret in dieser Thematik: deutlich weniger oder gar kein Fleisch mehr auf dem Teller.

Umgekehrte Beweisführung

Bis hierhin kann sich jeder sporttreibende Mensch als Teil des Ganzen betrachten. Auf der «Suche» nach Argumenten pro Vegetarismus (in welcher Form auch immer) verhalten sich Sportler meistens wie alle anderen auch. Dennoch ist für körperlich aktive Menschen vor allem eine Frage wichtig, bevor der Speiseplan umgestellt wird: Erhält der Körper bei vegetarischer Ernährung auch wirklich alle für den Leistungsmodus nötigen Nährstoffe? Wobei man natürlich den Spiess auch umdrehen und sich fragen könnte: Erhält der Körper bei «normaler Fleischernährung» auch wirklich alle für den Leistungsmodus nötigen Nährstoffe?

Auch wenn diese Umkehrfrage für viele provokativ wirkt, hat sie ihre Berechtigung. Denn warum nur müssen immer die Vegetarier beweisen, dass mit ihrer Ernährungsform kein Mangel auftritt? Warum beweisen nicht die Fleischesser, dass sie mit ihrer Ernährungsform tatsächlich bessere gesundheitliche Werte erzielen als die Vegetarier? Denn angesichts der enorm langen Reihe von Nachteilen, die uns der Fleischkonsum als Kollateral-Schäden sowohl bezüglich Nachhaltigkeit wie auch Gesundheit beschert, wäre der Miteinbezug aller Faktoren längst fällig.

Vegetarische Sportler leben gesünder

Natürlich – eine Auseinandersetzung mit Potenzial und Gefahren einer Mangelernährung ist vor allem bei einer Ernährungsumstellung wichtig und nötig, doch mittlerweile ist erwiesen, dass ein aktiver Mensch bei gemässigten vegetarischen Ernährungsformen keinen Mangel erfährt, wenn er sich dazu Gedanken macht und vielseitig isst. Im Gegenteil: Zahlreiche Studien zeigen, dass Vegetarier:

  • ein deutlich niedrigeres Risiko aufweisen,
    früh an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben
  • ihren Körper aufgrund der langen Verweildauer des Fleisches im (vegetarisch-langen) Darm-Komplex des Menschen besser vor bakteriellen Erkrankungen schützen
  • ihrem Körper insgesamt deutlich weniger Schadstoffe zumuten als bei regelmässigem Fleischkonsum
  • ihrem Körper vermehrt sogenannte «gute» Kohlenhydrate zuführen, was wiederum langfristig die Leistungsfähigkeit erhöht.
  • grundsätzlich «bewusster» leben als Fleischesser.

Lediglich dem Veganer kann ein potenzieller Mangel an Vitamin B12 oder auch Eisen nachgewiesen werden – vorausgesetzt, er oder sie ernährt sich ohne Sachverstand um die Materie. Was aber immer weniger der Realität entspricht. Vegetarier und vor allem auch Veganer beschäftigen sich intensiver mit jedem Lebensmittel als bedenkenlose Fleischesser – nur schon um herauszufinden, ob nicht doch irgendwo ein fleischliches Produkt «versteckt» wurde. Vegetarier essen zudem automatisch mehr Obst und Gemüse als Fleischesser und nehmen mehr verdauungsfördernde Ballaststoffe zu sich.

Sonderfall Proteine

Sportlern geht es beim Essen aber um mehr als normale Nahrungsaufnahme. Sie wollen und sollen mit ihrer Ernährung dem Körper die für sportliche Leistungen notwendigen Stoffe liefern. In diesem Zusammenhang wird für vegetarische Sportler immer wieder ein drohender Proteinmangel aufgeführt, zumal pflanzliche Proteine vom Körper weniger gut verwertet werden als tierische Proteine.

Proteine bestehen aus Ketten von miteinander verknüpften Aminosäuren, die in neun essentielle und elf nicht-essentielle Aminosäuren unterteilt sind. Letztere können vom Körper mit Hilfe der essentiellen Aminosäuren gebildet werden. Essentielle Aminosäuren müssen also durch Nahrung zugeführt werden.

Proteine sind in erster Linie wichtig als Baustoff für Zellen und Gewebe, Antikörper im Immunsystem, Enzyme, Hormone und sie arbeiten als Transportsysteme für Nährstoffe wie z.B. fettlösliche Vitamine. Doch nicht alle Proteine sind gleich. Ihre Qualität wird durch die Aminosäure-Profile bewertet und die sind von der Herkunft der Proteine abhängig.

Um der Qualität der Proteine einen Wert zu geben, wird heute meist der «Biologische Wert» der Lebensmittel bestimmt. Der Biologische Wert soll zeigen, mit welcher Effizienz das Nahrungsprotein in körpereigenes Protein umgesetzt werden kann. Das wichtigste Fazit: In der vegetarischen Ernährung (in welcher Form auch immer) kommt es in erster Linie auf abwechslungsreiche Kost an.

 

Was ist was?
Von flexibel bis konsequent

Flexitarier
Was
: Moderner Begriff für Menschen, denen das Thema aus ethischen und klimatischen Gründen zunehmend wichtig wird und die ihren Fleischkonsum einschränken und auf die Herkunft achten, aber nicht gänzlich darauf verzichten wollen. Die Grenzen sind nicht klar definiert. Für viele ist Fisch kein Fleisch, andere verspeisen keine Tiere, die auf vier Beinen gelebt haben usw. Für alle jedoch ist die Stossrichtung klar: weniger Fleisch!

Vegetarier
(auch «Lacto-Ovo-Vegetarier»)
Was: Verzicht auf Fisch und Fleisch sowie alle entsprechenden Verarbeitungsvarianten (wie etwa Würste, Streichwurst, Fischcreme usw.). Eier, Milchprodukte oder auch Honig sind erlaubt. Faustregel: Jede Nahrung,
für die getötet wurde, ist tabu.

Lakto-Vegetarier
Was: Fleisch, Fisch, Eier – nein!
Aber Milchprodukte erlaubt.

Ovo-Vegetarier
Was: Fleisch, Fisch, Milchprodukte – nein! Aber Eier erlaubt.

Veganer
Was: Nur pflanzliche Nahrung, kein tierisches Eiweiss, also auch keine tierischen Produkte. Oft richten Veganer ihre Ernährung und Lebensweise so strikt aus, dass auch Honig (Bienen) auf der Tabu-Liste steht und/oder keine Lederschuhe oder -gürtel mehr getragen werden.

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